FIDES e.V.: Aktuelles (Stand 01.01.2024)

Als wissenschaftlicher Leiter bzw. Schriftführerin von FIDES e.V. freuen wir uns über Ihr Interesse! (Foto: Dr. Christian und Ulrike Marettek).

Wir sind ja als gemeinnütziger und überparteilicher Verein dazu gegründet worden, umsetzbare Strategien zur Erhöhung der Bürgerzufriedenheit auf Basis des Grundgesetzes und der EU zu erarbeiten (unsere Zwischenergebnisse haben wir auf unserer Homepage demokratie-leben.org dargestellt).

Nach acht Jahren praxisnaher Forschungsarbeit sind wir mehr denn je davon überzeugt, dass die Demokratie langfristig nur überleben kann, wenn die Probleme ehrlich und in konstruktiver Weise besprochen werden, wenn keine Denkverbote gelten und jede/r seine Meinung zur Diskussion stellen darf. 

Im Folgenden werden die noch bestehenden Forschungsbedarfe in einem aktuellen Zwischenruf skizziert.

Aus FIDES-Sicht bleibt festzuhalten, dass nur diejenige Form der Demokratieforschung wirklich realistische Hilfestellungen der Politik liefern kann, wenn die interdisziplinäre Erforschung der Bürgerakzeptanz so im Mittelpunkt steht, wie es in der FIDES-Satzung von 2015 entspricht.

Realexistierende Demokratie als Staatsform nach einem Jahr Einmarsch in die Ukraine

Kommentar von Dr. Christian Marettek

Forschungsbedarfe der weltweiten Demokratieforschung

Im letzten Jahrzehnt ist weltweit offensichtlich die Staatsform Parlamentarische Demokratie westlicher Prägung – sogar mitten in Europa – unter Druck geraten: Wie ist diese Tendenz zu beurteilen? Offenbar versuchen mehrere autoritär regierte Staaten wie Russland, China, Iran sich grundsätzlich von der Dominanz der USA gemeinsam zu lösen. Hier dürfte das Ziel sein, dass diese mittleren Mächte ihre Einflusszonen auch mit Gewalt konsolidieren bzw. ausweiten können – Kriege also wieder eher möglich gemacht werden.

Zur Vermeidung von kriegerischen Auseinandersetzungen sollte unseres Erachtens dringlich ein Instrumentarium entwickelt werden, das Grenzänderungen auf friedliche Art und Weise ermöglicht. Gerade das Beispiel der Krim bzw. des Donbass kann nach unserer Analyse zur Plausibilisierung dienen. Wenn zur Zeit der „orangenen Revolution“ und besonders in den Jahren 2012-2014 mittels Volksabstimmungen auf der Krim sowie im Donbass über die staatliche Zugehörigkeit der genannten Gebiete – die bekanntlich nicht mehrheitlich ukrainisch besiedelt sind/waren, unter internationaler Kontrolle abgestimmt worden wäre, wäre eine mehrheitliche Zustimmung zum Anschluss von Krim und Donbass an Russland nach unserer Einschätzung wahrscheinlich gewesen. Leider wurden hierbei u.E. erhebliche Chancen zur Kriegsvermeidung nicht genutzt. Erheblicher Forschungsbedarf besteht daher darin, dass das weltweite Völkerrecht endlich ernsthafte Instrumente benötigt, wie Grenzänderungen ohne Krieg möglich werden und wie tatsächlich die supranationalen Institutionen KSZE und UNO gestärkt werden könnten.

Dies erscheint auch deshalb notwendig, weil der Migrationsdruck aus den Ländern des Nahen Ostens und aus den meisten afrikanischen Staaten nach Europa bzw. der Migrationsdruck aus Lateinamerika nach den USA ohne supranationale Vereinbarungen immer weniger bewältigt werden kann.

Derweil wir diese Zeilen schreiben, sterben traurigerweise Menschen mitten in Europa wegen der russischen Invasion in der Ukraine, wo eines der Kriegsziele offen der angestrebte Sturz der demokratisch gewählten Regierung unter Präsident Selensky ist! Seinen massiven Kriegseinsatz hat Putin offenbar über Jahre geschickt vorbereitet. Unter anderem wurde ein Großteil der Währungsreserven (früher in Euro bzw. Dollar) umgeschichtet in chinesische Währung und auch rechtzeitig die politische Rückendeckung Chinas ausgehandelt. Aber auch innerhalb Russlands wurden sorgfältig fast alle demokratischen Rechte schrittweise abgeschafft. Die russische Duma hat zuletzt ja ein Gesetz verabschiedet, das jede Kritik am Militäreinsatz in der Ukraine mit mehrjährigen Gefängnisstrafen bedroht. Beeindruckend aber doch der Widerstand von mehreren Tausend Russischen BürgerInnen im Frühling und Sommer 2022, die wegen Demonstrationen gegen den Einmarsch in die Ukraine) bereits verhaftet wurden. 

Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Indizien dafür, dass China die russische Invasion als etwas „Normales im Hinterhof einer Großmacht“ zu unterstützen scheint – vermutlich um im Rahmen des chinesisch-russischen Geheimabkommens die eigenen Machtinteressen hinsichtlich des demokratisch regierten Taiwan in den nächsten Jahren durchsetzen zu können. Noch Schlimmer: Brasilien und andere Länder haben Verständnis und wollen die eigenen Beziehungen zu China und Russland weiter intensivieren – trotz der Sanktionen des Westens.

Wie ist das Ganze aus Sicht der Demokratie als Staatsform zu werten? Grundsätzlich sollte der Westen die Sanktionspolitik grundsätzlich überdenken – nicht aber den Widerstand gegen die russische Invasion (und auch gegen andere undemokratische Fehlentwicklungen!). Im weltweiten Kontext sieht es leider so aus, dass vor allem China und Russland ein strategisches Bündnis geschmiedet haben, mit dem Ziel, neue Freiräume für klassische Eroberungsfeldzüge zu erhalten (Ukraine und Taiwan). Selbst das Mullah-Regime in Teheran schließt sich offenbar inoffiziell diesem Bündnis an… Plötzlich können sogar schwerste Feindschaften wie die zwischen der Obermacht der Schiiten (Teheran) und der der Sunniten (Riad) unter chinesischer Vermittlung bearbeitet werden. Alle autoritären Mächte schließen sich offenbar zusammen, um dem Westen zu widerstehen.

Wir sind davon überzeugt, dass die Demokratie als Staatsform noch lange nicht ausgedient hat und dass dieses Zusammenrotten der autoritären Mächte eigentlich nur bestätigt, dass die Demokratie – bei aller notwendigen Selbstkritik in Teilbereichen – als grundsätzliche Errungenschaft verteidigt werden muss, durchaus auch wehrhaft.

Krieg Israel-Hamas seit 07.10.2023 aus Sicht der Demokratieforschung

Ganz neue Herausforderungen ergeben sich auch aus dem unerwartet eskalierenden Gaza-Krieg, nachdem die Hamas am 07.10.2023 ein beispielloses Massaker an über tausend israelischen Zivilisten verübt hat und zahlreiche Geiseln nach Gaza verschleppt hat (außerdem zig Tausend Raketen abgeschossen hat, die bis Tel Aviv eine Gefährdung der Bevölkerung verursacht). Israel hatte daraufhin eine Mobilisierung der Reservisten veranlasst, um dann einen panzergestützten Feldzug hinein nach Gaza zu beginnen mit dem Ziel, die Hamas erklärtermaßen zu zerstören (bzw. ihre Fähigkeit, Israel zu gefährden).

Wegen des mittlerweile beachtlichen Anteils muslimischer BürgerInnen in Deutschland verursachen die täglichen Bilder aus Gaza ein großes Maß an Mitleid mit den palästinensischen Glaubensgeschwistern in Gaza und in der Folge auch Hass gegen den jüdischen Staat mit erheblichem Aufflackern von antisemitistischen Straftaten – wie es sie in Deutschland nach der NS-Barbarei bzw. dem 2. Weltkrieg noch nicht gegeben hat. Dies hat auch die deutsche politische Diskussion in kurzer Zeit beeinflusst. Die deutschen PolitikerInnen reagierten mit formelmäßigen Treueschwüren zugunsten von Israel („deutsche Staatsräson pro Israel“) bis hin zu Demonstrationsverboten für eine propalästinensischen Demonstration in Berlin am Altjahresabend und andererseits einer dramatischen Verschlechterung der Lebenssituation/-qualität der deutschen Juden, die sich in der aufgeheizten Atmosphäre offenbar immer weniger sich trauen, sich zum Jüdisch-Sein öffentlich zu bekennen (obwohl sie keine Verantwortung für Israels Armee in Gaza .

Hintergrund sind die täglichen Fernsehbilder aus Gaza, wo die israelische Armee offenbar eine große Not für die Zivilbevölkerung aus militärischen Gründen in Kauf nimmt (monatelange Abschaltung der Strom- und Wasserversorgung, Hungersnot wegen Unterbrechung der bisherigen Versorgungswege, systematische Zerstörung von mehreren Tausend ziviler Gebäude auf der Suche nach den Eingängen zur unterirdischen Hamas-Festung bzw. den Raketenabschussbasen). Immer wieder geistert der Vorwurf an Israel durch die weltweite Diskussion, in Gaza einen Genozid zu begehen (Die Republik Südafrika hat jetzt sogar Israel wegen genozidalen Aktivitäten beim internationalen Gerichtshof angeklagt). Wie kann das sein, dass Israel als einziger demokratischer Staat mit seiner Wehrpflichtarmee und der im Krieg gebildeten Allparteien-Regierung jetzt sogar des Genozids verdächtigt wird?

Wenn man die unerträglichen Bilder der Wohnbevölkerung von Gaza in sich aufnimmt, wie innerhalb von drei Monaten eine Stadt von 2 Mio. Einwohner systematisch in Trümmer gelegt wird, dann denken die meisten Zuschauer leider kaum noch an das auslösende Massaker der Hamas. Kann aber die jetzt gebildete Allparteienregierung Israels nicht stärker mäßigend auf Premierminister Netanjahu einwirken? Dabei wirkt sich der Israel-Krieg bereits massiv auch in den deutschen Klassenzimmern aus: die insbesondere syrischen Schüler kommen regelmäßig mit Aggressionen gegen Israel in die Schule; die LehrerInnen sind häufig hilflos, damit friedenstiftend umzugehen.

Aus Sicht der Demokratieforschung (bzw. der übergeordneten Konfliktforschung) sind vor allem folgende Fragen ungelöst:

  • Wie kann die aufgeheizte Atmosphäre in der islamischen Bevölkerung in Deutschland – konkret insbesondere an den deutschen Schulen – so konstruktiv aufgefangen werden, dass man von einer demokratiekonformen Auseinandersetzung unter Wahrung von gegenseitigem Verständnis bzw. Empathie sprechen könnte?
  • Faire Klärung der tatsächlich bestehenden Verantwortlichkeiten: Was wäre völkerrechtlich eine akzeptierte Reaktion auf den beispiellosen Terrorakt der Hamas vom 07.10.2023? Welche militärische Reaktion wäre völkerrechtlich angemessen und was wäre als Kriegsverbrechen oder gar als Völkermord (Genozid) einzustufen?
  • Vergleich mit dem immer noch tobenden Krieg in der Ukraine, wo gerade in den letzten Tagen erneut eine Intensivierung des russischen Beschusses der ukrainischen Städte festzustellen ist – wo aber die Anzahl der zivilen Opfer offenbar erheblich niedriger als in Gaza ist?
  • Wie kann einerseits die Freiheit der Ukraine langfristig gesichert werden und der russische Aggressor eindeutig als solcher identifiziert und abgewehrt werden – ohne die militärische Pattsituation auf dem Rücken der Soldaten auszubaden, die offenbar ein unerträglich großen Blutzoll zahlen müssen, ohne dass die Frontlinie nennenswert zu verschieben?
  • Wie kann andererseits trotzdem ein Verhandlungsprozess gestartet werden, damit durch einen Waffenstillstand endlich wieder eine positive Wirtschaftsentwicklung beider Seiten zu erreichen? Nach den Erkenntnissen der Konfliktforschung sind die TV-Bilder über offenkundig unmenschliche Kriege nur geeignet, die Aggressionen auf beiden Seiten immer weiter anzuheizen, was ein schlimmer Teufelskreis der Kriegsintensivierung beinhaltet (inneres Commitment der BürgerInnen beider Seiten, die Vernichtung des Gegnern immer stärker zu wünschen und damit den Krieg selbst emotional zu unterstützen).
  • Warum kommt die israelische Armee in Gaza nicht viel stärker auf die Idee, sich als demokratischer Rechtstaat und Befreier der Palästinensischen BürgerInnen von der offenbar verbrecherischen Hamas zu profilieren?
  • Wie kann ein demokratiekonformer Diskussions- und Verhandlungsprozess in beiden Kriegen gestaltet werden? Nach der Konfliktforschung kann der Teufelskreis von immer stärkeren Hass-Gefühlen und Unmöglichkeit, den Konflikt militärisch zu lösen, nur durch ein glaubwürdiges „In den Riss Treten zwischen den beteiligten Völkern“ konstruktiv bearbeitet werden.
  • Um es konkret zu sagen: Die jeweils verantwortlichen PolitikerInnen müssen dahin kommen, dass ein leidenschaftliches „Sowohl-als-auch“ im Hinblick auf die gegenseitige Akzeptanz der Rechte der Völker zum Inhalt der politischen Argumentation wird (vereinfachend gesagt): „Wir verstehen die Verletztheit der israelischen Sicherheitsbedürfnisse durch das Hamas-Massaker vom 07.10.2023.“ „Selbstverständlich kann sich Israel militärisch verteidigen“. „Andererseits könnte es gerade zur politischen Klugheit gehören, wenn Israels Vorgehen erkennbar stärker zwischen der Zivilbevölkerung (die erkennbar geschützt werden sollte) und der Hamas als Terrororganisation differenzieren sollte.“ „Umgekehrt sollte das Unterlaufen des Friedensprozesses durch Netanjahus Siedlungspolitik als kontinuierliche Demütigung des palästinensischen Volkes erkannt werden“.